Corona-Enquete in Sachsen: Kritische Experten über „Post-Covid“ und „Long-Covid“

Die Corona-Enquetekommission tagt im Sächsischen Landtag, um die Pandemiezeit aufzuarbeiten. Am Freitag tragen elf Sachverständige ihre Erkenntnisse vor, mit dem Ziel, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
Ab etwa zehn Uhr nehmen Abgeordnete und Gäste im Plenarsaal Platz. Wenige Pressevertreter verfolgen die Anhörung, während eine Schulgruppe die obere grüne Sitzreihe der Tribüne füllt. Die Sitzung beginnt.
Zu Beginn des ersten Vortrags wird ein ernüchterndes Bild der Corona-Impfstoffe skizziert. Besonders die Nebenwirkungen der Präparate seien oft unterschätzt worden, heißt es. Doch auch über die Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe gibt es unterschiedliche Meinungen.
„Wie viele Menschen sind wirklich an Corona gestorben?“, fragt Werner Bergholz, Ingenieur und Professor. Er ist auch Sachverständiger in der Corona-Enquetekommission des Land Brandenburg und kritisiert die offizielle Datenlage: „Laut offiziellen Zahlen gab es bis Ende 2020 keine Übersterblichkeit.“
Insgesamt seien in Deutschland in diesem Zeitraum etwa 30.000 Menschen an Corona gestorben. Bergholz verweist auf Daten der schwedischen Gesundheitsbehörde, laut denen nur 17 Prozent der Corona-Todesfälle in Schweden tatsächlich an Covid-19 als Hauptursache starben – umgerechnet wären das etwa 5.100 Todesfälle in Deutschland. „Wir müssen die Erfassung der Daten neu bewerten“, fordert er. Diese sei in Deutschland nicht „sauber“ erfolgt.
Zudem erklärt er, dass es keine nennenswerten Engpässe bei der Intensivbehandlung gegeben habe. „Laut Divi-Register waren nur vier Prozent der Intensivpatienten mit Corona infiziert.“ War die Notlage also wirklich so gravierend?

In der Zwischenzeit hat Erich Freisleben das Wort ergriffen, ein erfahrener Facharzt für Innere Medizin. Er berichtet von seinen eigenen Erfahrungen mit den Corona-Impfungen in seiner Berliner Praxis. „Im April 2021 habe ich meinen Patienten entsprechend der Priorisierung die Corona-Impfungen verabreicht“, sagt Freisleben.
Doch nach dem Tod einer seiner Patientinnen an Sinusvenenthrombose im Mai stoppte er die Impfungen in seiner Praxis. Im September 2021 meldete er dem Paul Ehrlich Institut (PEI) 20 schwere Impfnebenwirkungen – doch erhielt keine Reaktion. Auch nach einem viralen Interview und einem Beitrag auf SWR explodierten die Anfragen in seiner Praxis. „Wir mussten über 3.000 Hilfsanfragen abweisen“, so Freisleben. Bis 2022 registrierte er insgesamt 250 neue Patienten mit schweren Impfnebenwirkungen.
Er berichtet auch, dass die Begriffe „Post-Covid“ und „Long-Covid“ oftmals nicht klar abgegrenzt seien. Symptome wie Muskelatrophie, Kopfschmerzen oder Tachykardie treten sowohl nach einer Corona-Infektion als auch nach der Impfung auf. Wann handelt es sich also um „Post-Vakzin“ und wann um „Post-Covid“? Die Grenze ist fließend, und die Experten im Raum sind sich uneins. Eins vereint jedoch die Gemüter: eine präzise Diagnostik fehlt.
Betroffene fühlen sich verlassen, deren Leben am Abgrund steht. Wie das von Katharina Klausch, Vertreterin der Dresdner Selbsthilfegruppe „Long- und PostCovid/PostVac/ME-CFS“. Der letztere Begriff bezeichnet das Chronische Erschöpfungssyndrom. „Sie sehen nicht krank aus“ – dieser Satz hat Klausch schon oft gehört. „Man sieht es nicht“, sagt sie mit müder Stimme.
„Man sieht nicht, dass ich nach Luft ringe, wenn ich mir die Schuhe zubinde. Man sieht nicht die Ameisen, die über meine Beine und mein Gesicht krabbeln, man sieht nicht, dass mein Herz rast, man sieht auch den Sauerstoffmangel nicht, der mich nachts aufweckt, obwohl ich normal atme“, erzählt Klausch. Als sie beschreibt, wie schwierig es für sie ist, alltägliche Aufgaben wie Einkaufen zu erledigen, muss sie kurz Luft holen. Sie weint. Im Plenarsaal des Sächsischen Landtags herrscht Stille. Totenstille. Dann setzt sie ihre Erzählung fort. Klausch spricht von 100.000 Menschen im Freistaat, die mit den Folgen entweder einer Corona-Infektion oder einer Impfung noch heute zu kämpfen haben.
Schwierig sei es zudem, Unterstützung zu finden. Geschweige denn für Kinder und Jugendliche – Anlaufstellen seien noch viel zu wenige. Um soziale Unterstützung zu erhalten, müssten viele Widerspruch einlegen oder klagen. Dabei könnten 60 Prozent nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten. „Die Energie fehlt einfach“, erklärt Klausch. Sie selbst könne höchstens zehn Stunden pro Woche arbeiten – im Liegen.
Im Jahr 2021 wurden in Sachsen rund 16.000 Patienten mit Post-Covid-Symptomen von niedergelassenen Ärzten behandelt, wie die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) im Plenarsaal berichtet. Auch 2024 waren noch etwa 13.800 Menschen betroffen. Zudem stieg die Zahl der ME/CFS-Patienten von etwa 6.000 vor der Corona-Pandemie auf fast 9.800. Doch ob diese Fälle von der Infektion oder der Impfung stammen, bleibt offen.
Der Mediziner Freisleben erwartet diesbezüglich gründlichere Analysen und Recherchen. Schließlich war er kein „Impfgegner“ – er verabreichte zunächst seinen Patienten das mRNA-Präparat. Auch der Kardiologe Jörg-Heiner Möller ließ sich impfen und empfahl seiner Ehefrau die Corona-Impfung. „Ihr Leben ist jetzt zerstört“, sagt Möller. Sie könne morgens nicht mehr aufstehen und ihre Arbeit im Pflegeheim nicht mehr durchführen.
„Die Impfung war effektiv“, sagt hingegen Hubert Wirtz von der Uni-Klinik Leipzig. Diese habe auch das Risiko von Long- und Post-Covid gesenkt, so Wirtz. Einige seiner Kollegen schütteln jedoch den Kopf, als Wirtz erklärt, er könne dutzende Studien präsentieren, die ein positives Bild der Impfungen darstellten.
„Es geht nicht um Schuldzuweisungen und darum, recht oder unrecht zu haben“, sagt Erich Freisleben der Berliner Zeitung. Es ginge darum, eine umfassende Aufarbeitung dieser unbeleuchteten Zeit in die Wege zu leiten. „Wir haben viel zu lange die Grunderkenntnisse der Virologie ignoriert“, sagt der Mediziner.
Berliner-zeitung